Planungsfehler [Planning Fallacy]

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Rationality: From AI to Zombies” ist Eine Abhandlung über Rationalität, übersetzt aus dem Englischen von Vegard Beyer.
Essays von Eliezer Yudkowsky, im englischen Original auf readthesequences.com

Ich werde die deutschen Übersetzungen hier jeweils verlinken, sobald sie fertiggestellt sind. Anmerkungen und englische Fachbegriffe stehen in eckigen Klammern. Definitionen und Längeres stehen teils im Mouseover, d.h. sie erscheinen, wenn man die Maus über das gepunktet unterstrichene Wort bewegt.


Planungsfehler [Planning Fallacy]

Der Denver International Airport wurde 16 Monate zu spät eröffnet, mit einer Kostenüberschreitung von 2 Mrd. Dollar. (Ich habe auch Aussagen von 3,1 Mrd. Dollar gesehen.) Der Eurofighter Typhoon, ein gemeinsames Rüstungsprojekt mehrerer europäischer Länder, wurde 54 Monate zu spät ausgeliefert, zu einem Preis von 19 Mrd. Dollar statt 7 Mrd. Dollar.

Das Sydney Opera House ist wohl die legendärste Bauzeitüberschreitung aller Zeiten, da die Fertigstellung ursprünglich auf 1963 für 7 Mio. Dollar eingeschätzt worden war und es 1973 schließlich für 102 Mio. Dollar abgeschlossen wurde.1

Werden wir auf diese vereinzelten Katastrophen durch selektive Verfügbarkeit aufmerksam gemacht? Sind sie Symptome von Bürokratie, oder von Versagen der Förderungsmaßnahmen durch Regierungen? Ja, sehr wahrscheinlich. Aber es gibt auch eine entsprechende kognitive Verzerrung, die sich in Experimenten mit individuellen Planern offenbarte.

Buehler et al. fragten ihre Studenten nach Schätzungen, wann sie (die Studenten) dachten, sie würden ihre persönlichen akademischen Projekte abschließen.2

Genauer, die Forscher fragten nach geschätzten Zeiten, zu denen die Studenten es für 50%, 75% und 99% wahrscheinlich hielten, dass ihre persönlichen Projekte abgeschlossen sein würden. Möchtest du raten, wie viele Schüler zu oder vor ihren geschätzten 50%-, 75%- und 99%-Wahrscheinlichkeitslevels abgeschlossen haben?

  • 13% der Probanden beendeten ihr Projekt zu dem Zeitpunkt, dem sie dafür eine Wahrscheinlichkeit von 50% zugewiesen hatten;
  • 19% waren zu dem Zeitpunkt fertig, dem sie dafür eine Wahrscheinlichkeit von 75% zugewiesen hatten;
  • und nur 45% (weniger als die Hälfte!) waren zu der Zeit ihrer 99%-Wahrscheinlichkeit fertig.

Wie Buehler et al. schrieben: “Die Ergebnisse für die Wahrscheinlichkeit von 99% sind besonders bemerkenswert: Selbst als man sie um eine sehr konservative Vorhersage bat, eine Vorhersage, bei der sie sich nahezu zweifelsfrei sicher fühlen, dass sie sie erfüllen würden, übertraf das Vertrauen der Schüler in ihre Zeiteinschätzungen weit ihre Leistungen.“3

Im Allgemeinen ist dieses Phänomen bekannt als der “Planungsfehler”. Der Planungsfehler ist, dass Leute denken, dass sie planen können, ha ha.

Ein Hinweis auf das zugrundeliegende Problem des [menschlichen] Algorithmus für Planung wurde von Newby-Clark et al. aufgedeckt, welche herausfanden, dass

  • Probanden nach Vorhersagen basierend auf realistischen “Best-Guess”-Szenarien zu fragen; und
  • Probanden nach ihren erhofften “Best-case”-Szenarien zu fragen…

…voneinander ununterscheidbare Ergebnisse produzierte.4

Wenn Menschen nach einem “realistischen” Szenario gefragt werden, stellen sie sich vor, dass alles genau so läuft wie geplant, ohne unerwartete Verzögerungen oder unvorhergesehene Katastrophen – es ist also die gleiche Vision wie ihr imaginärer “bester Fall”.

Es stellt sich heraus, dass die Realität zumeist Ergebnisse liefert, die etwas schlechter sind als der “schlimmste Fall”.

Im Gegensatz zu den meisten kognitiven Verzerrungen kennen wir eine gute Debiasing-Heuristik für den Planungsfehler. Sie wird nicht funktionieren, wenn es um Katastrophen vom Ausmaß des Denver International Airport geht, aber sie wird für eine Menge persönlicher Planung und sogar für einige kleine organisatorische Dinge funktionieren. Verwende einfach eine “Außenansicht” statt einer “Innenansicht”.

Menschen neigen dazu, ihre Vorhersagen zu generieren, indem sie über die besonderen, einzigartigen Merkmale der bevorstehenden Aufgabe nachdenken und ein Szenario dafür entwerfen, wie sie die Aufgabe erfüllen wollen – also genau das, was wir normalerweise unter Planung verstehen.

Wenn du etwas erledigen willst, musst du planen, wo, wann, wie; du musst herauszufinden, wie viel Zeit und wie viele Ressourcen benötigt werden; die Schritte von Anfang bis zum erfolgreichen Abschluss visualisieren. All dies ist die “Innenansicht”. Es berücksichtigt keine unerwarteten Verzögerungen und keine unvorhergesehenen Katastrophen. Wie wir bereits gesehen haben, ist es aber zum Schutz vor übermäßigem Optimismus nicht genug, Leute nur zu bitten, den “schlimmstmöglichen Fall” zu visualisieren – sie visualisieren dabei nicht genug Murphyness.

[Murphy’s Law, oder Murphys Gesetz, lautet in vereinfachter Form : “Anything that can go wrong will go wrong.” – „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“]

Die Außenansicht ist, wenn du es bewusst vermeidest, über die besonderen, einzigartigen Eigenschaften dieses Projekts nachzudenken und einfach nur fragst, wie lange es gedauert hat, in der Vergangenheit einigermaßen ähnliche Projekte zu beenden. Das ist kontraintuitiv, da die Innenansicht so viel mehr Details beinhaltet – es besteht die Versuchung, zu glauben, dass eine sorgfältig maßgeschneiderte Vorhersage, die alle verfügbaren Informationen berücksichtigt, zu besseren Ergebnissen führt.

Aber das Experiment hat gezeigt, dass die Subjekte umso optimistischer (und weniger genau) wurden, je detaillierter ihre Visualisierung war. Buehler et al. baten eine Gruppe von Versuchspersonen darum, sehr spezifische Pläne für ihre Weihnachtseinkäufe zu beschreiben – wo, wann und wie.5 Im Durchschnitt erwartete diese Gruppe, ihre Einkäufe mehr als eine Woche vor Weihnachten abzuschließen. Eine andere Gruppe wurde einfach gefragt, wann sie erwarteten, ihre Weihnachtseinkäufe abgeschlossen zu haben, mit einer durchschnittlichen Antwort von vier Tagen [vor Weihnachten].

Beide Gruppen wurden durchschnittlich drei Tage vor Weihnachten fertig.

Buehler et al., die über eine interkulturelle Studie berichteten, stellten außerdem fest, dass japanische Studenten erwarteten, ihre Essays zehn Tage vor dem Abgabetermin fertigzustellen. Tatsächlich wurden sie einen Tag vor dem Abgabetermin fertig. Auf die Frage, wann sie zuvor ähnliche Aufgaben erledigt hatten, antworteten sie: “Einen Tag vor dem Abgabetermin.“6 Dies ist die Kraft der Außensicht – im Vergleich zur Innenansicht.

Eine ähnliche Erkenntnis ist, dass erfahrene Externe, die weniger von den Details wissen, aber über relevante Erinnerungen verfügen, oft viel weniger optimistisch und viel genauer sind als die eigentlichen Planer und Ausführenden.

Es gibt also eine ziemlich zuverlässige Möglichkeit, den Planungsfehler zu beheben, wenn du etwas tust, das einer Referenzklasse vergangener Projekte weitestgehend ähnlich ist. Frage einfach, wie lange ähnliche Projekte in der Vergangenheit gedauert haben, ohne irgendwelche der besonderen Eigenschaften dieses Projektes zu berücksichtigen. Besser noch, frage einen erfahrenen Außenseiter, wie lange ähnliche Projekte bereits gedauert haben.

Du wirst eine Antwort zurückbekommen, die ganz schrecklich lang klingt und eindeutig widerspiegelt, wie wenig die antwortende Person die besonderen Gründe versteht, warum diese Aufgabe weniger Zeit in Anspruch nehmen wird.

Diese Antwort ist wahr. Komm damit klar.

 


  1. Roger Buehler, Dale Griffin, und Michael Ross, “Inside the Planning Fallacy: The Causes and Consequences of Optimistic Time Predictions,” in Gilovich, Griffin, und Kahneman, Heuristics and Biases, S. 250–270. ↩︎
  2. Roger Buehler, Dale Griffin, und Michael Ross, “Exploring the ‘Planning Fallacy’: Why People Underestimate Their Task Completion Times,” Journal of Personality and Social Psychology 67, Nr. 3 (1994): 366–381, doi:10.1037/0022–3514.67.3.366; Roger Buehler, Dale Griffin, und Michael Ross, “It’s About Time: Optimistic Predictions in Work and Love,” European Review of Social Psychology 6, Nr. 1 (1995): 1–32, doi:10.1080/14792779343000112. ↩︎
  3. Buehler, Griffin, und Ross, “Inside the Planning Fallacy.” ↩︎
  4. Ian R. Newby-Clark et al., “People Focus on Optimistic Scenarios and Disregard Pessimistic Scenarios While Predicting Task Completion Times,” Journal of Experimental Psychology: Applied 6, Nr. 3 (2000): 171–182, doi:10.1037/1076–898X.6.3.171. ↩︎
  5. Buehler, Griffin, und Ross, “Inside the Planning Fallacy.” ↩︎
  6. Ebenda. ↩︎

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